- Friedensnobelpreis 1995: Joseph Rotblat — Internationale Pugwash-Konferenz
- Friedensnobelpreis 1995: Joseph Rotblat — Internationale Pugwash-KonferenzDie Pugwash-Bewegung wurde mit dem Physiker Joseph Rotblat aufgrund des jahrzehntelangen weltweiten Einsatzes für die Abschaffung aller Kernwaffen geehrt.BiografienJoseph Rotblat, * Warschau 4. 11. 1908; 1939 Emigration nach Großbritannien, 1942-44 Mitarbeit am »Manhattan-Projekt« zur Entwicklung der ersten Atombombe in Los Alamos (New Mexico), 1946 Einbürgerung in Großbritannien, 1955/57 Mitunterzeichner des Russell-Einstein-Manifests und Initiator der Pugwash-Konferenzen, 1957-73 Generalsekretär und ab 1988 Präsident und Ehrenpräsident der Pugwash-Bewegung.Pugwash Conferences on Science and World Affairs, in Pugwash (Provinz Nova Scotia, Kanada) 1957 gegeründet. Die Pugwash-Konferenz — ein 27-köpfiges Gremium — befasst sich hauptsächlich mit der Abrüstung und dem Nord-Süd-Konflikt.Würdigung der preisgekrönten LeistungPugwash, eine 800-Seelen-Gemeinde in der kanadischen Provinz Nova Scotia, ist ein beliebtes Reiseziel für Naturfreunde, Angler und Golfer. Es wäre jedoch nicht weltbekannt geworden, wenn sich im Sommer 1957 dort nicht 22 prominente Wissenschaftler auf dem Landsitz eines reichen Unternehmers zu einer Konferenz getroffen hätten. Die Teilnehmer dieser ersten »Pugwash-Konferenz« waren gekommen, um darüber zu beraten, mit welchen Strategien künftige Kriege verhindert werden könnten. Anlass zu dem Treffen war ein zwei Jahre zuvor von Albert Einstein (Physiknobelpreis 1921) und dem britischen Mathematiker und Philosophen Bertrand Russell verfasstes Manifest, in dem vor den Gefahren eines Atomkriegs gewarnt und die gezielte Suche nach Wegen zur friedlichen Lösung internationaler Konflikte gefordert wurde: »Angesichts der Tatsache, dass in irgendeinem zukünftigen Weltkrieg zweifellos Kernwaffen eingesetzt werden und dass solche Waffen die Existenz der Menschheit bedrohen, bitten wir die Regierungen der Welt eindringlich, zu erkennen und öffentlich einzugestehen, dass ein Weltkrieg ihren Zielen nicht dienlich sein kann. Wir bitten sie weiterhin ebenso eindringlich, nach friedlichen Mitteln zu suchen, um Streitigkeiten zwischen den Staaten schlichten zu können.« In dem am 9. Juli 1955 in London veröffentlichten Manifest regen die Verfasser eine Konferenz an, auf der Wissenschaftler »die tragische Lage, mit der sich die Menschheit konfrontiert sieht«, diskutieren und gemeinsam nach Auswegen suchen sollen.Vom Kernwaffenforscher zum KernwaffengegnerDas Russell-Einstein-Manifest trägt die Unterschriften von zehn Nobelpreisträgern, darunter des Japaners Hideki Yukawa (Physik 1949), des US-Amerikaners Linus Pauling (Chemie 1954, Physik 1962) und des Deutschen Max Born (Physik 1962). Joseph Rotblat, der den Aufruf ebenfalls unterzeichnete, wurde erst 40 Jahre nach der Veröffentlichung des Manifests mit dem Preis geehrt, im 50. Jahr nach den Atombombenangriffen auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki und im selben Jahr, in dem Frankreich gegen den heftigen Widerstand internationaler Umwelt- und Friedensorganisationen auf dem Südseeatoll Mururoa eine Serie unterirdischer Kernwaffenversuche durchführte. Die Preisverleihung wurde allgemein als Kritik des Osloer Nobelpreiskomitees an diesen Tests verstanden und von der französischen Regierung entsprechend missbilligt.Joseph Rotblat, Kind einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie in Warschau, kam 1939, gerade noch rechtzeitig vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, als Stipendiat nach Großbritannien und arbeitete dort als Assistent des Kernphysikers Sir James Chadwick (Physiknobelpreis 1935) auf einem Forschungsfeld, das damals beinahe zwangsläufig zur Teilnahme am »Manhattan-Projekt« führen musste. Seine Begeisterung dafür ließ jedoch rasch nach, als Rotblat erkannte, dass es beim Wettlauf um den Bau der ersten Atombombe nicht nur darum ging, den Forschern im nationalsozialistischen Deutschland zuvorzukommen, sondern auch eine neue Massenvernichtungswaffe zu entwickeln, die dann im Krieg tatsächlich eingesetzt werden sollte. Schon im Dezember 1944 kehrte Rotblat deshalb nach Großbritannien zurück und widmete sich dort ähnlich wie Linus Pauling vor allem der Frage, welche Auswirkungen radioaktive Strahlung auf den menschlichen Körper hat — ein Forschungsfeld, das ihn zum Widerstand gegen die atomare Aufrüstung führte.Erfolge und ErwartungenAuf der ersten Konferenz in Pugwash diskutierten die Teilnehmer über die Gefahren, die von den in den Arsenalen der Atommächte zu tausenden angehäuften Kernwaffen ausgehen. Seither wurden von der Pugwash-Bewegung über 250 Konferenzen, Symposien und Workshops zu Fragen der Abrüstung und Friedenssicherung veranstaltet. Die Zahl der »Pugwashiten« ist inzwischen weltweit auf mehr als 3500 angewachsen. Von den vier Büros in Cambridge (Massachusetts), London, Genf und Rom werden die Aktivitäten der heute in etwa 30 Ländern mit nationalen Gruppen vertretenen Bewegung koordiniert. Im Lauf der Zeit haben sich auch das Teilnehmerspektrum der Konferenzen und die Ziele der bis heute nur locker geknüpften Organisation verändert. Während bei den ersten Treffen die Naturwissenschaftler eindeutig überwogen, gehören heute Vertreter nahezu aller Berufs- und Gesellschaftsgruppen zu den Teilnehmern. Diese Entwicklung steht ganz im Sinn Joseph Rotblats, der eine der wichtigsten Ursachen der Bedrohung der Menschheit durch Massenvernichtungswaffen darin sieht, dass die politische und soziale Evolution der rasanten Entwicklung in den Naturwissenschaften gewissermaßen hinterherhinkt. Das Themenspektrum, das heute auf den jährlichen Pugwash-Konferenzen und -Workshops behandelt wird, zeigt darüber hinaus, dass neben den Kernwaffen auch andere Massenvernichtungswaffen sowie die allgemeinen Folgen von Kriegen wie Armut oder Umweltzerstörung mehr und mehr in das Blickfeld rücken.Zu den Erfolgen, die die Pugwash-Bewegung in vier Jahrzehnten unter der Führung Joseph Rotblats erzielte, gehören einige wichtige Vertragswerke, an denen sie mitwirkte oder für die sie zumindest ein günstiges Verhandlungsklima geschaffen hat. Dazu zählen der Vertrag über das Verbot oberirdischer Kernwaffenversuche (1963), der Atomwaffensperrvertrag (1968), die verschiedenen Abkommen über die Begrenzung der strategischen Atomwaffenarsenale sowie die Konventionen über biologische beziehungsweise chemische Massenvernichtungswaffen.Trotz der beachtlichen Erfolge in der Abrüstungspolitik sind die Gefahren längst nicht gebannt, denn in den Arsenalen der ursprünglichen Atommächte lagern noch genügend Kernwaffen, um die gesamte Menschheit zu vernichten. Mehrere Staaten bauen offen oder geheim eigene Atomstreitkräfte auf, und überall in den Forschungsabteilungen der Rüstungsindustrie werden neue Waffen ersonnen. Für Joseph Rotblat stellt sich daher seither die Frage nach der sozialen Verantwortung der Naturwissenschaftler und Techniker. Seiner Ansicht nach kann die Bedrohung durch moderne Waffen nur entscheidend vermindert werden, wenn sich alle Wissenschaftler an einen Eid halten, in dem sie geloben, sich gegebenenfalls selbst bei der Forschungsarbeit Beschränkungen aufzuerlegen, falls die Ergebnisse ihrer Arbeit zum Schaden der Menschheit sein könnten.P. Göbel
Universal-Lexikon. 2012.